Mittwoch, 29. August 2012

DIE SCHWEIZ UND IHR TOURI-TATORT - KOLUMNE INKLUSIVE TIPPS FÜR MEHR TIEFGANG

Am Sonntag endlich war die Sommerpause vorbei und die neue Tatort-Saison begann. Und zwar in Luzern. Mit Reto, unserem Schweizer Kommissar. Vor einem Jahr hatte es Reto mit einer Amerikanerin aus CSI versucht, mit der löste er einen Fall (ich habe schon vergessen, um was es ging) und dann bumste er sie (daran erinnere ich mich genau, Tauben waren auch da). Aber das gefiel weder den Chefs vom Schweizer Fernsehen, noch den Zuschauern im Dreiländereck so recht. Denn es war so unschweizerisch. Also bekam Reto im Mai 2012 eine neue Partnerin, die heisst Liz und ausser ihrem Namen ist alles recht schweizerisch an ihr. Sie ist korrekt gekleidet, vorverurteilt die Verdächtigen, wie die Langstrassestreife den schwarzen Mann und fühlt sich vom Reto so ein bisschen machomässig behandelt. Aber der hatte äbä auch recht gehabt und drum wars auch ganz okay seine Kollegin zu behandeln als wär sie ein bisschen doof, denn logischerweise war nicht der jähzornige, übervorteilte, alte Bauer der Mörder, sondern der scheue, spielsüchtige, junge Bänker, von dem wir das NIE gedacht hätten. Huere schlau, könnte man meinen, denn so funktioniert das doch mit diesen Krimis: Bis am Schluss soll man nicht schnallen wer es war, um dann bei der Lösung des Falles umso erstaunter zu sein. Migros Clubschule Krimikurs, Lektion 1. Und dann noch die herrliche Aussicht! Diese Landschaft, das Superwetter! Ja, der dritte Schweizer Tatort war richtig schön. Nicht der kleine Mann war der böse, sondern der Kapitalist und seine kriminellen Freunde aus der Politik. Und dann noch alles in dieser wunderbaren Bergwelt. Was will man mehr?!

Nun, allererstens will ich keinen Werbespot für die Luzerner Landschaft in HD, sondern eine Mordgeschichte in den dunklen Ecken der Schweiz und ausserdem und überhaupt: Wo blieben die Zwischentöne? Die Abgründe (also nicht am Berg)? Der Nervenkitzel? Mal ganz ehrlich: Macht es wirklich Sinn die Mordgeschichten ins Luzernische zu pflanzen? Oder geht es tatsächlich nur darum deutsche Touristen anzulocken? Denn glaubhaft wäre der Tatort in der Schweiz in Zürich oder Genf unter Prostituierten, Drogendealern, illegalen Einwanderern, internationalen Beziehungen und dem Partyvolk dazwischen, und nicht im Hochglanzprospekt, den wir am Sonntag vorgezeigt bekamen. Wobei wenigstens eine Tatort-technische Grundregel für die 57'000-Seelen-Stadt spricht: Potentiell kennen sich Täter und Ermittler. Das kommt beim Tatort immer gut und sorgt für Zündstoff. Und weil ich nach jahrelangem Tatortschauen die Systematiken des story telling herausarbeiten konnte, hier noch einige weitere Tipps, wie der Schweizer Tatort an Tiefe gewinnen könnte, frei nach den deutschen und österreichischen Vorbildern: 

Der Mörder: Der Mörder ist nie der Ausländer oder die Drogenabhängige und auch nicht der Sprayer, wobei die Letztgenannten mit Sicherheit etwas gesehen haben, weil sie a) sich während der Tat in der Nähe eine Nadel setzten oder b) während der Tat in der Nähe ein piece sprayten. Als Mörder in Frage kommt dafür immer das Kind oder die Teenagerin, welche mit Traumata und/oder Vernachlässigung, Verlust und Frust zu kämpfen haben. 

Das Ermittlerteam: Wohnt Tür an Tür oder sogar in derselben Wohnung und sonst mindestens einer von beiden im Hotel und hat entweder das gemeinsame Kind verloren oder einer von beiden den Ehepartner. Ausserdem sind Alkohol, Übergewicht und kiffende Eltern/drogenabhängige Töchter verbreitet.

Der Schurke: Es gibt mindestens einen unangenehmen Menschen im Verdächtigenkreis, der meist nicht der Mörder ist, aber das Böse auf der Welt verkörpert. Er oder sie ist wahrscheinlich in der Baubranche, manchmal auch bloss Bänker und immer in der Politik tätig. Fitnessgurus und Tennislehrer sind auch nie nett.

Der Tatort: Ist aufgrund der Wahrscheinlichkeit, dass ein Geldhai aus der Baubranche in die Tat verwickelt ist sehr oft eine Baustelle.

Der Showdown: Findet aufgrund der Wahrscheinlichkeit, dass ein Geldhai aus der Baubranche in die Tat verwickelt ist, sehr oft auf einer Baustelle statt.

Die Moral der Geschichte: Im Immobilienmarkt geht es nicht mit rechten Dingen zu, drei Viertel aller deutschen Teenager sind traumatisiert und die Ermittler sind mindestens genau so psychisch am Ende, wie die Täter, die - sofern es nicht das Kind war - die Kommissare persönlich kennen. Und wenn der Schweizer Tatort dem Reto noch ein Alkoholproblem andichtet oder die Liz bei ihm einziehen lässt (weil sie psychisch am Boden ist oder einfach ihre Wohnung verloren hat), dann kommt das ganz gut. Die Bösewichte in Form von Bänker und Bauherr hatten wir ja schon.

Freitag, 24. August 2012

WENN DER FESTPLATZ VOM PLATZFEST AUS ALLEN NÄHTEN PLATZT

Die Quartierfeste in Zürich werden von Besuchern überrannt, schreibt der Tagesanzeiger* und sucht nach Erklärungen. Denn so schön es für einen Festveranstalter eigentlich sein müsste, wenn viele Gäste kommen, so unerwünscht können diese sein, wenn das Fest eigentlich klein und herzig hätte bleiben sollen. Aber statt dem Nachbar hockt heute auf dem Holzbänkli ein Hipster. Und der trinkt Dosenbier aus dem Coop, anstatt sich ein Gezapftes am Stand zu kaufen. Da läuft was schief.

Kleinere Anlässe gewinnen an Bedeutung, erklärt der Tagi und weil Quartierfeste nun mal in der Öffentlichkeit stattfinden, werden sie schnell grösser, als sie klein sein wollten. Oder so ähnlich. Dies die These der Zeitung. Bloss, warum gewinnen denn kleinere Anlässe an Bedeutung? (Dass sie bei zu vielen Besuchern aus allen Nähten platzen, haben wir ja begriffen)

Mich erinnert das Wort "Quartierfest" an meine Kindheit und die Überbauung im ländlichen St.Gallen, wo ich aufgewachsen bin. An meine erste und einzige Medaille für sportliche Leistung (ich war Zweite geworden im "um-das-Quartier-Rennen", aber auch nur, weil die Silber-Anwärterin kurz vor dem Ziel kollabierte und weinend im Sandkasten liegen blieb), an die Mini-Playback-Show, wo mein kleiner Bruder und ich "2 Unlimited" mimten und ich das erste mal feststellen musste, dass er besser tanzen kann als ich, an besoffene Väter, die zu dritt in den Busch fielen beim Pinklen und an die noch besoffenere Tochter des Hausabwartes, die sich auf den Holzpflock setzte, der einige Stunden zuvor zum "Wettkampf-Hämmern" diente, und schrie "Wär will mi nagle?!" Ja, das waren noch Zeiten! Dessertbuffets gab es, OLMA-Bratwürste und viel Bier. Wir durften aufbleiben bis tief in die Nacht und weil die Eltern schon nicht mehr zählen konnten, wie viele Becher sie gebechert hatten, schauten sie auch auf uns nicht mehr so genau. Quartierfest war Spass für alle. Urchiger Spass für alle.

Und das mag auch der Grund für die Beliebtheitszunahme von Quartierfesten in Zürich sein. Wenn young urban people wieder in weiss heiraten und mehr als zwei Kinder kriegen, dann ist auch die Festbank nicht mehr weit. Und nicht jeder der sich diese zurücksehnt, will deshalb zwingend ins Dörfli - auch wenn der Name doch so schön passen würde - oder ans Langstrassenfest - welches dieses Jahr ja ohnehin nicht stattfinden wird. Massenveranstaltungen, Touri-Parties und Jahrmarktstimmung sind nicht, was die Grafikerin und der Velokurier suchen, sondern gemütliches Beisammensein bei guter Musik. Dumm ist nur, wenn die Festbankverehrer alle zum gleichen Platzfest tingeln, denn die Gemütlichkeit soll ja vor allem denen gegönnt sein, die auch nahe dem jeweiligen Festplatz wohnen. Was machen?

Ich wage zu bezweifeln, dass wenig Werbung den gewünschten Effekt bringen wird, denn alles was underground ist (nicht wörtlich, aber übertragen), lockt trendige Städter ja nur noch mehr an (wobei es allenfalls die Aargauer fern halten würde, die kein ganz so dichtgespanntes Sms-Weitersag-Netz in Züri haben). Unbekannte Bands einladen ist auch heikel, denn Hipster rühmen sich gerne mit einem ausgefallenen Musikgeschmack und sogar Ländler werden wieder in. Was man vielleicht machen könnte, wäre das ganze in "Block Party" umzutaufen, dann kämen zwar noch mehr Coole, dafür würden alle anderen wegbleiben. Oder den Anlass offiziell für nächstes Jahr absagen und dann doch durchführen (ich sag jetzt nicht, wer das dieses Jahr so macht, sonst bin ich noch schuld wenn gewisse Szenebars am 31. August noch überlaufener sind als sonst). Deshalb ein letzter und diesmal ernstgemeinter Tipp:

Wer gerne wiedermal gemütlich ein Bier auf einer Festbank zu sich nehmen würde, noch dazu an einem schönen Ort mit netten Leuten, der soll doch sein eigenes Quartierfest veranstalten, da wo er oder sie wohnt zum Beispiel (ähä, das macht Sinn). Im Tiergarten oder am Berninaplatz, an der Nordstrasse oder im Triemli. Einfach mal den Grill aufstellen und ein paar feine Biere bringen. Et Voilà. Ach, die Polizei ist das Problem? Lärmklagen, Bussen, Abfallbeseitigung? Lasst euch doch von sowas nicht einschüchtern! Dürfen sich denn heute nur noch Teenager unangemeldet zusammenrotten? Seid ihr zu faul für ein bisschen "fätzle" nach dem Anlass? Oder mögt ihr am Ende eure Nachbarn nicht? Glaubt mir, nach zehn Bieren sind auch die ganz okay und falls sie nicht kommen, weil sie es nicht ertragen können, dass es einmal im Jahr in ihrer Strasse laut ist, dann sollen sie doch in mein altes Dorf ziehen, denn dort wurde das Quartierfest vor ein paar Jahren wegen Mangel an Interesse abgeschafft.

*http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/Die-Quartierfeste-werden-ueberrannt-/story/13722378

Sonntag, 29. Juli 2012

BUSHWICK BLOCKPARTY: DIE VIELLEICHT HIPSTE PARTY DER WELT

Es ist ein Tag zum Daheimbleiben. Die dunkelgrauen Wolken hängen so tief über Bushwick, Brooklyn, dass es auch um 2 Uhr nachmittags nach Dämmerung aussieht. Der Regen ist keine Frage der Wahrscheinlichkeit, sondern nur der Zeit. Wer heute ohne Schirm aus dem Haus geht, ist entweder extrem optimistisch eingestellt oder einfach nur blöd. Ich bin mir nicht ganz sicher zu welcher Gruppe ich zähle, als ich mich ohne Regenschutz leichtbekleidet nach Morgantown aufmache. Seit Wochen konnte man kaum mehr einen Tag unter der Bettdecke schlafen, weil die Hitze New Yorks so durchdringend ist, ein bisschen kühler Regen kann nicht schaden. Als ich in die volle Ubahn steige, trauere ich kurz meinem weichen Bett und der nächsten Folge Akte-X auf Neflix nach. Wäre heute nicht die wahrscheinlich hipste Blockparty von New York angesagt, es hätten mich keine zehn Pferde aus meinem Zimmer gebracht. Aber eben, Zürcher und New Yorker sind sich in einem (ehrlich gesagt in vielem) sehr ähnlich: Wenn eine legendäre Underground- (oder auch nicht) Blockparty lockt, muss man einfach hingehen. Komme was wolle.

Morgantown nennt sich der kleine Teil Bushwicks, der an der Morgan Avenue in einem ehemaligen Industriegebiet liegt. Bis vor einigen Jahren gab es hier nichts ausser riesiger leerstehender Fabrikgebäude auf einem Areal, das seine besten Zeiten wohl während der Industrialisierung hatte. Wie in vielen Teilen Brooklyns wanderte die reiche Bevölkerung mitte des 20. Jahrhunderts ab und überliess die Gegend ärmeren Schichten und Immigranten. Das Industriegebiet um Morgantown blieb dabei langezeit völlig ungenutzt. Dann, vor vielleicht 10 Jahren, als Manhattan immer teurer wurde, "rückeroberten" Künstler und Studenten die Teile Brooklyns, die nahe am Eastriver und somit der Mutterinsel lagen. Innert weniger Jahre wurde so aus dem heruntergekommenen Williamsburg das neue In-Quartier New Yorks - laut einem befreundeten Real Estate Agent momentan der begehrteste Wohnort der Welt. Doch wie es die Gentrifizierung will, wurde das Viertel mit dem wunderbarem Blick auf die Skyline von Manhattan so für die Künstler und Studenten, die es zu dem machten, was es ist, bald zu teuer und sie zogen weiter landeinwärts. Vor vier, fünf Jahren dann, enterten die ersten Freigeister die Gegend um die Morgan Avenue um in den alten Warehouses Lofts einzurichten. Morgantown und der untere Teil Bushwick's wurde zum neuen Refugium für die hippen jungen Leute mit gar nicht so schlecht bezahlten Jobs und ist heute kein echter Geheimtipp mehr, sondern so etwas wie Williamsburg's kleine Schwester. Die übergrossen Industriebauten sind in kleine Wohnungen mit grossen Fenstern aufgeteilt worden, Bioläden und Boutiquen eröffnen neben Lagerhallen, das Durchschnittsalter der Bewohner liegt bei geschätzten 25 Jahren. Hier wohnen Models, Musiker, Jurastudenten und Rocker Tür an Tür und es vergeht kein Tag ohne eine Hausparty, einen Zeichenworkshop oder ein illegales Punkkonzert. Und hier findet eben auch die jährliche Bushwick Blockparty statt, an die ich gehe. Inmitten der Fabrikhallen, im Freien und mit offiziellem Security-Personal.

Gerade als ich um etwa vier Uhr nachmittags ankomme - die Party ist in vollem Gange - fängt es an zu regnen. Rockig angezogene Frauen mit Tätowierungen, Männer mit Schnauz und Tätowierungen, Ray-Ban Brillen in Neonfarben und ultrakurz abgeschnittenen Jeans-Hotpants überall. Viele davon unter schwarzen Regenschirmen. Die New Yorker sind eben doch schlauer als ich, die nach fünf Minuten klatschnass ist. Um ins Gelände zu kommen, das nicht ganz so gross ist, wie erwartet, muss man anstehen. Und zwar lange. Die Schlange geht um die Hausecke und führt an einem mobilen Vintage-Laden in einem Wohnmobilanhänger vorbei. Sie wird sekündlich länger. Am Eingang wird das Alter gecheckt: wer unter 21 Jahren ist kommt nicht rein, glaube ich, oder bekommt sie oder er einfach keinen violetten Bändel? Ich bin mir nicht ganz sicher, denn auf meiner ID, die wegen des Schweizerkreuzes fälschlicherweise oft als Krankenschwesternausweis missverstanden wird, steht ja ein akzeptiertes Geburtsjahr. Irgendwo hier sollten auch meine Kollegen sein, aber das Areal ist ganz und gar unüberschaubar. Überall bilden sich Schlangen und jedesmal wenn ich mich irgendwo anstellen will, bin ich mir nicht sicher ob es nicht vielleicht doch nur der Weg zum Klo ist. Mein Freund Frank textet mir, sie seien bei der Musik nahe dem Wrestlingring. Ich reihe mich mal vorsichtig in eine Schlange ein, die dorthin führt, wo der Lärm herkommt. Ich stehe also an, nachdem ich angestanden bin. Und diesmal noch länger. Offenbar werden bloss neue Leute in diesen Teil der Blockparty reingelassen, wenn andere rausgehen. Und das passiert nicht. Ich frage die coolen Frauen und hübschen Männer (mit Schnauz!) nach dem Wrestlingring, aber keiner hat davon gehört. Wie lange die wohl alle schon anstehen? Seit Minuten hat sich der Menschentross keinen Millimeter bewegt, aber das scheint niemanden zu stören. Es wird fleissig gequatscht und gekifft. Auch Biertrinken ist hier erlaubt (deshalb ja die Securitykontrollen und Bändel). Normalerweise ist in Amerika auf offener Strasse bekanntermassen kein Alkohol erlaubt, aber auf diesem designierten Areal wird einem überall billiges Bier verkauft. Die meisten Leute scheinen mir schon recht besoffen. Man muss die Gunst der Stunde wohl nutzen.

Irgendwann bin ich endlich drin (nachdem ich schon drin war, ich bin nun also noch drinner), aber kann meine Freunde beim besten Willen nicht finden. Im strömenden Regen tanzen hier gut gekleidete Jungs und Mädels zu ohrenbetäubendem Techno und House aus einem Millitärzelt, welches noch überfüllter ist als der Rest des Areals (hat halt nicht jeder einen schwarzen Regenschirm). Wo ist hier ein Wrestlingring?? Der Medizinstudent und sein Fotografenfreund neben mir zucken bloss lachend mit den Schultern und nehmen mir das Versprechen ab, ihnen Bescheid zu geben, wenn ich ihn gefunden habe. Dann fangen sie mit wildfremden ganzkörpertätowierten Skatern an mit vereinten Kräften einen Joint zu bauen. Eines muss man den New YorkerInnen (und den Amerikanern an sich) schon lassen: Alle sind unheimlich freundlich und Small Talk-bewandert. Die machen sicher jeden Tag zehn neue Freunde. Mindestens. Vom Stil und dem Stolz auf ihre Stadt sind die Zürcher  den New Yorkern ja wirklich ähnlich, aber wenn es um Freundlichkeit und Offenheit geht, dann sind die Limmatstädter wohl eher Nordkoreaner.

Ich kämpfe mich an schöngestalteten Essensständen mit äthiopischen Fladenbroten und glacierten Donuts vorbei zu einer weiteren Bühne, die ich tatsächlich erst eine Stunde später entdecke, obwohl sie bloss 50 Meter vom Militärzelt entfernt steht. Zuvor wurde mir von allen Seiten versichert, es gebe nur diesen einen Ort mit Musik. Offenbar hatten sich alle meine Gesprächspartner nie nur einen Meter von ihrem Spot wegbewegt, nachdem sie ihn eingenommen hatten. Verständlicherweise. Denn die Schlange um zu dem DJ-Zelt zu kommen ist mittlerweile dreimal so lang als vorher. Jemand flucht, dass es wohl auch eine Schlange zum Ausgang gebe. Auf der anderen Bühne, die ich per Zufall entdeckte, spielt gerade eine dieser kuriosen Bands, die eine Mischung aus Raeggeton und Hardcore Rap macht. Die Jungs sehen alle aus wie Axel Rose. Bekiffte Schnauzträger und witzigtätowierte Frauen stehen im Regen und schauen ausdruckslos.  Wo sind bloss meine Freunde?? Und wo verdammt ist dieser Wrestlingring?

Irgendwann gebe ich auf, kaufe mir ein äthiopisches Gemüsegericht und schlendere von den begehrten Tanzbereichen davon, wohlwissend, dass ich es nicht noch einmal reinschaffen werde. Die Schlange fürt nun durchs ganze Gelände. Ich bin müde von der Party gestern und habe keine Lust auf Dosenbier und Gedränge. Per Zufall finde ich doch noch einen Ausgang und setze mich wieder in die Ubahn heimwärts.

Fazit: Mit den Brooklynern ist das so: Sehen und gesehen werden ist ihnen mindestens genauso wichtig wie den Zürchern auf dem Riminimarkt. Um dabeigewesen zu sein, stellt man sich auch mal stundenlang in eine Schlange, bloss um dann in noch eine Schlange zu stehen und dann vor einem Millitärzelt mit schlechter Musik und warmem Bier zu enden. Vom Stil her sind die New YorkerInnen wenigstens ein bisschen ausgeflippter und variantenreicher als die ZürcherInnen, aber eigentlich sind alle eben doch ganz schön konform. Schnäuze, dicke Brillengestelle, ausgebleichte Rockband-T-shirts und witzige Tattoos, etwa von den Umrissen des Heimatstaates, überwiegen. Hipster möchte auch hier niemand genannt werden und die Gentrifizierung diskutieren wenigstens einige ernsthaft. Alte Fabrikgebäude umzubauen ist sicher nichts Schlechtes, aber die ärmeren Schichten und Immigranten aus ihren angestammten Gebieten vertreiben, weil man mit dem Geld von Mami und Papi und dem Bartender-Nebenjob höhere Mieten bezahlen kann, ist wenigstens fragwürdig. Allein, was soll man tun? Am Ende will ja doch jeder eine dieser Loftwohnungen besitzen und immerhin wird der Bioladen um die Ecke von Puerto Ricanern geführt (die sind nämlich schlau und haben die Zeichen der Zeit erkannt). Schlussendlich bleibt eine Frage: Wo war dieser verdammte Wrestlingring?


Vor dem Militärzelt im strömenden Regen tanzen die Betrunkenen

Dann kommt sogar noch die Sonne (für fünf Minuten)

Eine der Fabrikhallen, die heute loftähnliche Wohnungen beherbergt

Einer hat das Papierchen beigesteuert, der andere das Gras und der dritte dreht das Ganze. Alle haben sich vor 5 Minuten kennengelernt.

Übrigens wurde mir letztens erklärt, dass Morgantown eigentlich gar nicht in Bushwick liegt, sondern noch in Williamsburg. Aber weil Williamsburg mittlerweile unter den wirklich Hippen nicht mehr als cool gilt und jeder lieber damit angibt, in Bushwick zu wohnen (und zwar schon lange und vor allen anderen), hat man Morgantown kurzerhand zu Bushwick und damit der neuen In-Gegend geschlagen. Bald wird der Name auch in Reiseführern auftauchen und die Künstler und Kreativen werden weiterziehen, zum Beispiel nach Far Rockaway. Der abgefuckte Landstrich in Queens, der ans Meer stösst, ist nämlich wirklich viel zu schön, um unentdeckt zu bleiben. Die Frage ist, wo dann die heutigen Bewohner von Far Rockaway hinziehen, denn theoretisch würden sie von den Hipstern ins Meer geschoben.

Sonntag, 24. Juni 2012

HEUTE WÄRE EIN WANDERTAG GEWESEN

Draussen hupen etwa fünf Autos gleichzeitig. Keine Ahnung warum, aber es hat definitiv nichts mit dem Halbfinaleinzug der Spanier zu tun. Denn ich sitze in meinem Appartement in Bushwick, Brooklyn und die Leute hier - obwohl viele aus Mittel- und Südamerika - interessieren sich nicht sehr für Fussball. Viel mehr interessieren sie sich fürs Grillen auf der Strasse, für dröhnende Autoradios und Plastikkinderpools in der glühenden Hitze des Nachmittags und ja, sie hupen gern. Wenn sie irgendwo wegen eines anderen quer in der Strasse stehenden Autos nicht vorbei kommen, wenn ein Freund in Sicht ist, wenn Puerto Rican Day Parade ist oder einfach als Ausdruck der Freude oder der Wut in allen möglichen Lebenslagen. Man verbringt viel Zeit im Auto hier oben. 

Ich empfinde das Dröhnen gerade als sehr tröstend. Es klingt wie das Aufheulen des Protestes in mir drin. Denn ich habe Heimweh. Nicht nach Zürich oder St.Gallen. Auch nicht unbedingt nach meinen Freunden oder der Familie. Im Moment vermisse ich gerade das Wandern. 

Heute wäre ein Wandertag gewesen. In der Schweiz. Man hätte den Zug nehmen können oder die S-Bahn, gar nicht zu weit weg. In ein paar Minuten schon wäre die Landschaft grüner geworden und wenn die morgendlichen Sonnenstrahlen schräg durch die Mehrzweckhallen, Fabrikgebäude und Schindeldachhäuser gefallen wären, hätte sogar Dietikon schön ausgesehen. 

Die Morgensonne macht aus jedem noch so hässlichen Stück Welt ein freundliches Fleckchen. Und Wanderungen beginnen oft an hässlichen Orten. Bei Seilbahnen zum Beispiel. Die gefallen mir nie besonders gut. Mit ihren kahlen Betonwänden im Warteraum und den vielen Zahnrädern. Beängstigend.

Dann die Aldis, Spars und Agrolas mit ihren frustrierten Kassiererinnen, die in kleinen Dörfern rumstehen. Die runddachigen Tenniscenter in ausgewaschenen Farben entlang der Bahnlinie. Oder eine Joghurtfabrik. In der Morgensonne hätte dies alles heimelig und vielversprechend gewirkt.

Man wäre irgendwo hingewandert, wo einem nur noch ab und zu Menschen begegneten wären oder der Hund eines Bauern bellte. Bald wäre eine Anhöhe gekommen, die die Sicht auf das ewig schlafende Mitteland freigibt und vielleicht ein Atomkraftwerk, das in der Ferne trotzig dahindampft. Ab und zu hätte man ein "Zi" fallengelassen oder ein etwas anstrengenderes "Zitnand", wenn Leute den Weg kreuzten. Ein Waldstückchen hätte ein bisschen Abkühlung gebracht und bald schon wäre weiter unten wieder ein Dorflädeli aufgetaucht oder eine Beiz. 

Ein Kafi Lutz, ein kühles Bier, zwei Wienerli mit Senf und Bürli, ein Wasserglacé. Kein Menü der Welt schmeckt besser in diesem Moment und im Spar weiterunten gleich noch zwei Bratwürste gekauft. Im Bus zurück in die Stadt, die gerne mondän wäre, hätte man ein paar Sms an die restlichen Freunde geschrieben. Grillen bei mir auf dem Parkplatz um 19 Uhr. Bei der Ankunft am Bahnhof riecht die ganze Stadt schon nach Holzkohle. Summer in the city.

Die Leute hier in Bushwick grillen auch. Jeden Tag. Und der Duft von Pouletschenkeln und Schweinshaxen liegt schwer in meinem Appartement. Von überallher dringt Musik an meine Ohren. Manchmal nur der Bass von weitem, oder die metallisch scheppernde Stimme einer R&B-Diva, die zu laut aufgedreht wurde. Manchmal ganz laut aus einem vorbeifahrenden Auto, dessen Türen wackeln. Und das Gehupe natürlich. Es ist nie still hier. Nie. Vielleicht ganz selten mal am Morgen in der Früh. Aber sicher nicht nachts. Ich habe mich daran gewöhnt und schlafe ganz gut. Mit ewig offenen Fenstern, weil es in der Wohnung so heiss ist. Ich mag Brooklyn. 

Und ich vermisse die stillen Wanderwege, den weitschweifenden Blick über grüne Hügel und zackige Berge, die oben immer weiss bleiben. Ja, sogar die Schweizer vermisse ich ein bisschen, die nicht ein Mal im Jahr so laut sind, wie die Puerto Ricaner hier jeden Tag. Aber nicht allzu sehr.

Blockparty vor meinem Haus

Samstag, 2. Juni 2012


"TAUFRISCH" (2012)



Mittwoch, 30. Mai 2012

KANTOENLIGEIST - facebook talk

friend of mine: "Where should I go/what should I do during a day in Queens?"
fb friend of hers: "Take the subway to B'lyn..."

OH HOW I LOVE THE SUBWAY - AMERIICAAAAA!


Dienstag, 29. Mai 2012

ICE-CREAM TRUCK

If I could color my life with your flavours

Ease the pain with an oversized iceblock

Freeze all memories

The sunlight would never fade

Dancing forever on the stoop to the tinny jingle

FADE INTO SUNLIGHT - SUMMER IN MY ROOM






Montag, 28. Mai 2012



 New York







Dienstag, 22. Mai 2012

 Eine völlig blödsinnige und überflüssige Neuinterpretation des Klassikers von Matthias Claudius aus der Reihe "Schöne Gedichte und was man sonst noch damit anfangen kann"

ABENDLIED von Matthias Claudius (1740-1815) /// MORGENLIED von Anja Soldat *1984

1. Der Mond ist aufgegangen,                                       1. Die Sonne ist ausgebrochen
Die goldnen Sternlein prangen                                      Ich habe deinen Schweiss gerochen
Am Himmel hell und klar;                                            Möchte ich dich? Doch, klar
Der Wald steht schwarz und schweiget,                       Aber du stehst da und schweigest
Und aus den Wiesen steiget                                          Und dass du in mein Bett steigest
Der weiße Nebel wunderbar.                                        Wird wohl niemals wahr

2. Wie ist die Welt so stille,                                          2. Wie bist du nur so stille?
Und in der Dämmrung Hülle                                        In der Früh am Grille
So traulich und so hold!                                               So mutlos und so stolz
Als eine stille Kammer,                                                Es ist ein Jammer
Wo ihr des Tages Jammer                                             Wo ich doch feucht und du ein Strammer
Verschlafen und vergessen sollt.                                   Komm, setz dich zu mir aufs Holz

3. Seht ihr den Mond dort stehen?                               3. Siehst du meine Warzen stehn?
Er ist nur halb zu sehen,                                              Sie sind nur klein und schlecht zu sehn
Und ist doch rund und schön!                                     Und doch sind sie rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,                                     Und so wollen wohl manche Frauen
Die wir getrost belachen,                                             Denen wir das niemals zutrauen
Weil unsre Augen sie nicht sehn.                                 Im Grunde bloss stöhn'

4. Wir stolze Menschenkinder                                     4. Wir spitzen Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder                                                 Gelten schnell mal als Sünder
Und wissen gar nicht viel;                                           Dabei verstehen wir nicht viel
Wir spinnen Luftgespinste                                           Reden ständig von Moral
Und suchen viele Künste                                             Und schauen heimlich den Sexkanal
Und kommen weiter von dem Ziel.                             Da frag ich dich: Wer hat hier Stil?

5. Gott, laß uns dein Heil schauen,                             5. Drum, lass uns endlich ficken!
Auf nichts Vergänglichs trauen,                                  Heute sollen die Uhren anders ticken
Nicht Eitelkeit uns freun!                                           An Eitelkeit wollen wir uns erfreuen
Laß uns einfältig werden                                            Und schweinisch wild sein
Und vor dir hier auf Erden                                          Mit dem letzten Schluck aus der
                                                                                    letzten Flasche Wein
Wie Kinder fromm und fröhlich sein!                        Die Fröhlichen sind die Untreuen

6. Wollst endlich sonder Grämen                              6. Du musst dich nicht grämen
Aus dieser Welt uns nehmen                         Sondern deinen Schwanz aus der Hose nehmen
Durch einen sanften Tod!                                          Ich sehe schon eine seidige Hode
Und, wenn du uns genommen,                                 Und wenn du dann gekommen
Laß uns in Himmel kommen,                                   Vergisst du all die Frommen
Du unser Herr und unser Gott!                                  Wer weiss schon was vom Tode?

7. So legt euch denn, ihr Brüder,                               7. So legt euch ihr Schwestern und Brüder
In Gottes Namen nieder;                                            In Gottes Namen nieder
Kalt ist der Abendhauch.                                           Und küsst euch in warmem Hauch
Verschon uns, Gott! mit Strafen,                              Verschont uns mit euren Strafen
Und laß uns ruhig schlafen!                                      Und lasst uns miteinander schlafen
Und unsern kranken Nachbar auch!                          Mit den braven Nachbarn auch...

Freitag, 11. Mai 2012

10 THINGS I LOVE ABOUT NEW YORK - PART 1


Es ist mal wieder Zeit für eine Liste. Ich liebe Listen. Listen machen das Leben leichter. Listen sind lustig. Ich habe mal eine Liste gemacht, mit den 10 hässlichsten Einrichtungsgegenständen. Ganz weit oben waren Büsten von weinenden Clowns und Setzkästen mit Kristallkätzchen und Strickdecken über dem Sofa. Komischerweise fanden sich diese drei Dinge alle in der gleichen Wohnung einer benachbarten Familie aus meiner Kindheit und wahrscheinlich, wenn ich jetzt angestrengt nachdenken würde, könnte ich die ganze Liste mit Dingen aus dieser Wohnung füllen. Sie war wirklich ganz grauenvoll eingerichtet und ich ging nie gerne dahin zum Spielen, wobei das vielleicht eher an den Nachbarn selbst lag... Na egal, heute soll es ja um eine erfreuliche Liste gehen. Nämlich um zehn Dinge, die ich an New York liebe. Aus der nicht ganz so weltmännischen Sicht einer jungen Frau, die in einer Gegend aufgewachsen ist, wo die Leute sich weinende Clown-Büsten an die Wand hängen.

1. DIE SUBWAY. Ich habe letztens hier einen Franzosen getroffen, genauer gesagt einen Pariser, genauer gesagt einen Pariser DJ. Er hatte in einem Club in Brooklyn aufgelegt und wir kamen danach ins Gespräch, denn lustigerweise ist er auch mein Nachbar - aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls hat er geseufzt, weil kaum zahlendes Publikum gekommen war, seine Gage aber über den Eintritt verrechnet wurde. Das reiche kaum fürs Taxi nach Hause, meinte er. Ich platzte erstaunt heraus: "Nimm doch die Ubahn!" Aber er schaute mich nur herablassend an und meinte, er sei Pariser, die Subway fände er bloss lästig. Da konnte ich ihn bloss bemitleiden, denn: ICH LIEBE DIE SUBWAY! Zugegebenermassen nicht zur rush hour und okay, fragt mich nicht, was ich von ihr halte, wenn ich nachts um vier totmüde 30 Minuten auf sie warten muss, aber hey: Sie kommt! Immer. Die New Yorker Subway fährt die ganze Nacht und tagsüber im Abstand von 5 - 10 Minuten. Überallhin. Und manche der Wagen sind noch richtig schön altmodisch. Zum Beispiel die Linie R. Die Sitze sind orange und dunkelgelb, die Wände braun und wenn der Wagen voll ist und man nicht genau weiss, wo man aussteigen muss, hat man keine Chance. Weil, in den 60er-Jahren hatte offenbar niemand daran gedacht auch Fahrpläne im Wagen anzubringen. 
In der Subway gibt es immer dumme Werbungen, komische MusikerInnen (siehe dazu: http://captainezwerg.blogspot.com/2012/03/sombreros-und-snickers-in-der-ubahn.html), Teenager, die einem geklaute Süssigkeiten verkaufen wollen, schlicht: Viel Unterhaltung. Und dann die Lausprecherdurchsagen! "Stand clear of the closing doors please!" Ist euch schon mal aufgefallen, dass diese Warnung wie eine Rodeo-Ansage aus dem tiefsten Süden klingt? Diese Erkenntnis stammt leider nicht von mir, sondern von einem New Yorker Freund und ich finde: Er hat total Recht! 
Und dann noch: All die wunderbaren Filme, die in der New Yorker Ubahn spielen! Allen voran "The Taking Of Pelham 1-2-3" (das Original von 1974 mit Walter Matthau natürlich). Nach dem Genuss dieser Perle der 70er Jahre Kultkriminalfilme fühlt man sich bei jeder Fahrt wie auf einem Filmset! Bloss sind die Wagen heute "leider" nicht mehr voller Graffiti, aber egal. Subway fahren ist kool! Und nicht wenige der Linien sind zum Teil obergründig und man hat den wunderschönsten Blick auf die Skyline von Manhatten und fährt oft ganz intim zwischen Häuserzeilen hindurch. Ein Muss für jede/n Touristen/In!


Blick von Queens auf Manhatten (z.B. Linie N/Q Richtung Astoria Ditmars Blvd)


An Unterhaltendem mangelt es in der Subway nie

2. DER SPRACHEN-AKZENTE-DIALEKTE-WIRRWARR. Als Schweizerin mit einem brav erlernten Schulenglisch, das mal hätte Britisch klingen sollen und dann heimlich in einen ich-habe-zu-viele-Hollywood-Filme-gesehen-Slang abdriftete, ist man ja immer ein bisschen gehemmt, wenn man mit Englisch sprechendem Volk spricht. Also SchweizerInnen sind ja grundsätzlich gehemmt, wenn es um Fremdsprachen geht, und das obwohl gerade wir hier auftrumpfen könnten. (Welcher Schweizer trumpft schon gerne auf ausser Roger Federer und der ist vielen suspekt). Das Schöne an New York ist jedoch: Es kommen eh alle von irgendwo sonst und wenn man nicht ständig erwähnen würde, dass man "not from around here" ist, würde es gar niemand bemerken oder wenn, dann nur im Positiven. Denn niemand ist aus New York (okay, es gibt vielleicht ein, zwei), aber die meisten sind gerade mal vor zwei, drei Jahren hierher gezogen, kommen entweder aus einem anderen Bundesstaat oder aus einem ganz anderen Land. Viele haben einen schwächeren oder stärkeren Akzent, kaum jemand einen New Yorker Dialekt (der ist auch nicht schön :) jeder hat Verwandte und Vorfahren im Ausland und alle sprechen gerne davon und freuen sich zu hören, woher DU bist. Es mag die versnobbten New Yorker geben, die sich T-shirts mit der Aufschrift "Go <3 your own City" kaufen, ich bin ihnen bisher nicht begegnet. Und wenn, dann müsste ich spätestens dann grinsen, wenn sie "coffee" sagen, denn im ortsansässigen Dialekt spricht man 'ckoaffi' mit einem kurzen O-A und das klingt echt herzig.

3. DIE BODEGAS. Jedes Viertel hier hat sie, jeder New Yorker zählt darauf: Die kleinen corner stores, die Läden an der Ecke. Hier kann man sich rund um die Uhr mit dem Nötigsten eindecken: Dosenfutter, Snickers, Tampons, Kondome, Bier... (vielleicht nicht gerade in dieser Reihenfolge). "Bodega" ist Spanisch für "Weinkellerei" und der Name rührt daher, dass viele dieser kleinen Läden, die oft auch in grossen Lettern mit GROCERY oder DELI angeschrieben sind, von Spanisch sprechenden Mitmenschen geführt werden. Bodegas dürfen keine Spirituosen verkaufen; das ist den liquor stores vorbehalten, aber sie dürfen Bier und Wein verkaufen und alles, was der schnelllebige New Yorker sonst begehrt. Da die kleinen Läden oft am längsten offen haben (nicht alle sind 24 h offen, einige haben "nur" ein ständig bedientes Ladenfenster, andere machen unter der Woche um 24 Uhr oder etwas früher zu), treffen sich manche Leute hier einfach, um ein bisschen zu quatschen und Musik zu hören. In meinem corner store - und er ist wirklich an der Ecke - läuft ca. 18 Stunden am Tag Salsa in einer Lautstärke, dass man es noch bei mir im Zimmer hört (aber die Wände sind ja auch aus Papier) und es stehen zu jeder Zeit mindestens drei Puerto Ricaner darin herum und quasseln. Ich mag diese Stimmung und die Sicherheit, dass ich immer irgendwo eine menschliche Seele finde und das, was mein Körper gerade herbeisehnt. Sei es nun eine Dose Apfelmus oder ein Brooklyn Lager.

4. Das bringt mich gleich zu meinem nächsten Punkt auf der Liste der Dinge, die ich an New York liebe: DIE BIERVIELFALT.  "American Beer is like sex in a canoo: fucking close to water" haben Monty Python einmal gesagt und bei jeder Dose Miller Highlife, die mir hier angeboten wird, möchte ich ein Klagelied anstimmen und schluchzend hin und her wiegen, ABER: Das wäre völlig verfehlt, denn auch wenn viele abgebrannte Brooklyner Studenten bloss dieses entsetzliche Gebräu trinken (es ist immer das billigste auf der Karte), ist das noch lange kein Grund zu verzagen: Auch die kleinste Bodega führt mindestens ein bis zwei richtig gute Ales, Porters oder Stouts zu einem nicht viel höheren Preis und ich bin davon überzeugt: Egal, wo in den 5 boroughs man sich gerade befindet, man muss nie mehr als 10 Minuten laufen, um einen Laden mit einer richtig guten Bierauswahl zu finden. Manchmal ist die Vielfalt tatsächlich so gross, dass man 10 Minuten mit offenem Mund vor dem Kühlregal steht und verzweifelt nach einem passenden Auszählreim sucht: über organic pale ale zu Brooklyn Monster Ale oder Chocolate Stout zu summer und winter special brews, die Liste ist länger als mein Gedächtnis breit. Letztens investierte ich 10.- extra Dollar, anstatt bei den Sixpacks Miller Highlife und Budweiser mitzubezahlen, die meine Freunde für eine Hinterhofparty in Brooklyn kauften, und brachte meinen eigenen Pack Brooklyn Brown Ale mit. Meine New Yorker Kollegen grinsten zuerst über dieses europäische Biergehabe, lachten jedoch noch lauter, als mein Sixpack nach nur 30 Sekunden leer war. Jeder der Partygänger wusste schliesslich, was richtig gutes Bier ist.

Ein Ausschnitt aus der nicht besonders grossen Auswahl an Bieren im Key Foods Supermark ca. 10 Min zu Fuss von mir zu Hause

Vinyl Lager für die PlattensammlerInnen unter den Biertrinkern
Ich hätte wissen müssen, dass sich hinter dem Namen "Monster Ale" ein Starkbier verbirgt...


5.  DIE LAUTSTÄRKE. Man kann geteilter Meinung darüber sein, und gerade ich, die einen furchtbar leichten Schlaf hat, müsste diesen Punkt eigentlich auf eine Hass-Liste schreiben, aber ich kann mir nicht helfen: Ich liebe die Lautstärke New Yorks! Die Wände sind so dünn, dass ich gleichzeitig meinen Mitbewohnern und meinen Nachbarn beim Sex zuhören kann (ich bin sozusagen im Sandwich). Irgendwo brennt es immer und darum fährt fast jeden Tag die Feuerwehr am Fenster vorbei, dicht gefolgt von der Polizei und dem Krankenwagen, alle mit lustigen Sirenen, die die Melodie wechseln. Dahinter folgt dann der Eismann mit seinem infamen diiddelddidiiii diddeldiddiii, der - ich schwöre es - immer bloss um meinen Block fährt (er hat mich mal von zu Hause bis zum Wäscheautomat und zurück verfolgt, vielleicht sollte ich ihm mal ein Eis abkaufen). Von dem Gewicht aller dieser Fahrzeuge gehen die Alarmanlagen von mindestens drei Vierteln der am Strassenrand geparkten Autos los. Die Garage gegenüber probiert den subwoofer aus, den sie eben einem der Kunden eingebaut hat. In regelmässigen Abständen fahren Jungs und Mädels in ihren aufgemotzten Karren mit aufgedrehten Lautsprechern vorbei und machen mich mit den neusten R&B-Heulern bekannt. Später am Abend tickt ein Ex-Freund aus und schreit verzweifelt zu seiner Geliebten hoch, die nichts mehr von ihm wissen will. Die restlichen Nachbarn haben es sich auf ihren Verandas gemütlich gemacht und plappern fröhlich bis um fünf am Morgen durch und dann verirrt sich eine Maus in meinem Zimmer und beginnt meine Plastiksäcke zu durchwühlen (Endlich verstehe ich, wieso die Betten hier fast einen Meter hoch sind), während draussen auf der Strasse ein Bettler simultan dazu die Müllsäcke nach Pfandflaschen durchstöbert. 
Das ist in etwa ein normaler (Wochen-)Tag in Bushwick, Brooklyn und nachdem ich mir Ohrstöpsel zugelegt habe (zu meiner Verteidigung: meine Nachbarin und ihre Tochter machen manchmal Schrei-contests und meine Mitbewohner mit ihren unregelmässigen Arbeitszeiten haben wirklich kein Gespühr dafür, dass Akte X um 3 Uhr morgens Schlaf raubend sein kann), geht es ganz gut. Und ich weiss wenigstens: hier leben die Leute! Und auch ich darf so laut sein, wie ich möchte. 
Ich kann mich erinnern, damals als Kind, in dem kleinen Dörfchen am Rande von St.Gallen, wo jeder Pieps zu viel ist, habe ich mich immer an einen Ort geträumt, wo es keine Leute mit weinenden Clowns an den Wänden gibt, die einem von Anstand und Sitte erzählen...

Die nächsten 5 Dinge, die ich an New York liebe, folgen bald! :)


Mittwoch, 2. Mai 2012