Donnerstag, 23. Februar 2012

IN DER UBAHN IST NIEMAND EIN DARLING

Es wird allgemein behauptet, ja sogar schwärmerisch davon erzählt, dass die New Yorker ein unglaublich liebenswürdiges Völkchen sind: Lässt man in einem Café einen Handschuh fallen, stürzen sich wild aufgescheuchte Kaffeetrinker auf den Lappen am Boden, will man etwas käuflich erwerben wird man beim Verkaufsgespräch gleich auf eine hippe Party eingeladen und sowieso beginnt jedes Gespräch mit "hey darling", "yes dear" und "how are youuuu??". Da kommt man sich schon seltsam geliebt vor. Zumal man vorher im kleinen Züri allerhöchstens ein hingezischtes 'Zi' oder ein etwas anstrengenderes 'Zi'tnand' - um der Gruppe zu würdigen - ausgetauscht hat, insgeheim aber froh war, mit niemandem reden zu müssen, geschweigedenn dessen Wohlergehen zu erfahren. Ja eigentlich wollte man nicht mal auf die Existenz des Gegenübers aufmerksam gemacht werden. Ich ignoriere dich, du ignorierst mich und wir sind beide glücklich.

Sind die Amerikaner also tatsächlich die lieberen Leute? Zeugen die gedehnt gesprochenen barbiestimmenhaften Begrüssungsfloskeln von mehr Solidarität unter Fremden? Sind wir Schweizer introvertierte Ärsche, die zwar vehemment auf Höflichkeit pochen, aber bei jedem zaghaft angedeuteten Tramgespräch hilfesuchend auf unser Handy starren?

Ich bin versucht "Ja" zus sagen. Es ist tatsächlich so, dass man hier schneller ins Gespräch kommt mit der Verkäuferin von nebenan, dem Limousinenfahrer an der Ecke oder dem Liftboy im Hochhaus des Vertrauens. Es werden einem wohl auch überdurchschnittlich viele Lächeln geschenkt für eine Grosstadt dieser Grösse und die Dienstleister sind oft ausserordentlich fidel im Vergleich zu vielen Kioskfrauen und Sportartikellehrlingen in der Schweiz.

Aber - und hier kommt ein grosses ABER - abgesehen davon, dass sich die wenigsten Leute tatsächlich dafür interessieren 'how you are' und diese Floskel heute etwa gleich gebrauchen wie wir ein 'Grüezi', ja sogar teilweise irritiert reagieren, wenn man darauf eine Antwort gibt (auf "Grüezi" sagt man auch nicht "Danke gut und Ihnen?"), erschüttert auch eine einfache Ubahnfahrt während der Rushhour die romantische Vorstellung des uramerikanischen Zusammenhaltens, des 'yes WE can' und 'we are in this together'.

Denn auch wenn die Ubahn der erste Ort sein müsste, wo eine Floskel wie 'we are in this together' Sinn macht, scheint gerade hier niemand seine Mitmenschen für darlings und dears zu halten. Ganz im Gegenteil wird weder darauf gewartet, dass du aussteigen kannst ("immer zerst dLüüt usstige lah" jammert die alte Frau in meinem Kopf, aber niemand hört sie), noch darauf geachtet, ob du auch einsteigen kannst. Bist du zaghaft, weil du noch die drängelnden SBB-Pendler mit ihren panischen "Ich-krieg-keinen-Platz-mehr-im-Ruheabteil-Gesicht", die du immer so hinterwäldlerisch fandest, im Kopf hast,  quetschen sich bestimmt zwei bis drei Leute vor dir in die Bahn. Reagierst du nervös, weil sich von allen Seiten Leute an dich randrängen, wirst du über den Rand eines Romans, der in den unmöglichsten Quetschlagen weitergelesen wird, abschätzig angeschaut - musst wohl eine Touristin sein, wenn du das Gedränge nicht stoisch hinnimmst. Ja, oft wird nichtmal für alte, gebrechliche Leute aufgestanden, schliesslich hat man sich den Sitz erkämpft oder mit einem Umzug in die Outskirts und dem damit einhergehenden längeren Pendlerweg erkauft.

Also doch alles Arschlöcher hier und alle hingezwitscherten "how are yous" nur oberflächliches Geplänkel?

Jein. Erstmal muss wohl unterschieden werden zwischen Dienstleistern und normalem Fussvolk: Die Dienstleister sind tatsächlich oft freundlicher als in der Schweiz. Ja sogar wenn sie sich gerade übermannt sehen von einer Horde hilfsbedürftiger Kunden gibt es noch zuckersüsse Antworten (wobei es auch hier Ausnahmen nahe am Erschöpfungstod gibt, die nur noch unverständliche Worte blaffen - könnte zwar auch an meinen Englischkenntnissen und MEINER Erschöpfung liegen, dass ich zu gewissen Zeitpunkten des Tages jede Antwort als hingeblafftes Slangqauderwelch versteh, aber grundsätzlich gilt: Dienstleister sind sehr zuvorkommend). Ganz anders hingegen die nine-to-five-Pendler. Hier gilt noch krasser als in der Schweiz: Ich klebe zwar an deinem Rücken oder stehe dir auf den Füssen, aber ich sehe dich nicht und du mich auch nicht. Und natürlich ist das verständlich. Würden in einer vollgestopften Ubah noch Lächeln ausgetauscht, wäre es mir eindeutig unheimlich. Schliesslich hätten (und haben) die S-Bahnfahrer in der Schweiz in der gleichen Lage schon längst den Blick angerufen und in wildem Gezeter von den untragbaren Zuständen am Morgen berichtet.

Deshalb zum Schluss hier einige Tipps, wie man das Ubahnfahren etwas erträglicher machen kann:

1. Ein Buch mitnehmen und reinstarren oder wenn man abgebrüht genug ist sogar ein bisschen darin lesen (es gibt kein Handyempfang in der New Yorker Subway, weshalb altmodische Bücher hier noch en vogue sind - neben Kindle und Smartphonespielen natürlich. (Was ist der Plural von "kindle" btw?). Zeitungen eignen sich nicht, die sind einfach zu gross

2. Augen zu und schlafen oder sich an einen besseren Ort denken: scheint bei den eingefleischten New Yorkern zu funktonieren - die schlafen bei den ruckeligsten Übergängen wie die Weltmweister oder wenigstens zu tun sie erfolgreich so - und müssen so zusammen mit den Lesenden niemandem ihren Platz abgeben, weil sie ja gar nicht realisieren, dass drei Omas um sie herumstehen

3. Eine handvoll Dollar in der Hosen- oder Jackentasche bereithalten, damit man allenfalls einem Bettler/einer Künstlerin oder einem Musiker etwas in die Hand drücken kann ohne dabei total umständlich in seinem Rucksack wühlen zu müssen und Ellbogenhiebe zu verteilen. Und ja, die New Yorker geben auch manchmal was, wenn sie auch nicht so einfach zu beeindrucken sind, immerhin sehen sie jeden Tag am Morgen und am Abend Darbietungen PLUS Leute, die gar kein Geld wollen für ihre Exzentrizität, sondern einfach aus purer Lust singen und tanzen oder quitschfarbige Plateauschuhe zu kuriosen Umhängen tragen

4. Es doch mal mit Lächeln versuchen. Meistens kommt eines zurück.

Dienstag, 21. Februar 2012

PRESIDENTS DAY: FÖDERALISMUS & WAS KATER DAMIT ZU TUN HABEN

Heute war Presidents Day hier in den Staaten. Ein Tag, der mehr mit uns föderalistischen Schweizern zu tun hat, als wir es uns beim Titel dieses Festtages je gedacht hätten, denn er wird nicht nur in jedem verdammten Bundesstaat anders genannt oder gleich genannt, aber anders geschrieben, sondern manchmal noch nicht mal gefeiert und wenn, dann nicht unbedingt zum gleichen Anlass. Das wirkt irgendwie beruhigend auf mich, die Jahre lang versucht hat Expatriates klar zu machen, dass ich KEINE AHNUNG von irgendwelchen Feiertagen/Schulsystemen/Abstimmungsregeln oder Farben der Abfallsäcke der Orte habe, wo ihr Relocate-Agent ihnen eine Bude mit Blick auf den Zürisee verschafft hat. Weil eben: Föderalismus, Baby. Was ausserhalb des Kreises 3 so abgeht, ist eben nicht meine Sache und oft sogar absolut unverständlich für mich. So wie Chinesisch etwa. Und nun: in your face, ihr penetranten amerikanischen Schüler, die ihr mich immer ungläubig angeschaut habt, wenn ich sagte, dass in der Schweiz jeder Krachen andere Traditionen hat! Ihr seid ja gar nicht besser hier! Und das mit nur einem Präsidenten und nicht sieben. HA!

Aber beginnen wir von vorne: Vor langer, langer Zeit irgendwann nachdem am 22. Februar 1732 George Washington das Licht der Welt erblickte und nachdem er die amerikanischen Kolonien zum Sieg gegen die Engländer und in die Unabhängigkeit führte und nachdem er dann auch noch zum ersten Präsidenten dieses neuen Landes gewählt wurde, fanden seine Landsleute, man müsse seine Geburtstag gebührend feiern. Verständlicherweise. Und da waren sich auch noch alle einig. Und das taten sie dann auch. Und nannten den Tag sinnigerweise "Washington's Birthday" oder noch einfacher "Washington Day". Und weil Abraham Lincoln AUCH im Februar geboren wurde, war der Feburar für lange, lange Zeit ein feiertagreicher Monat für die Patrioten der neuen Welt.

In 1968 aber änderte sich mit dem Inkraftreten der "Union Holidays Bill" einiges. Diese neue Regelung bewirkte, dass zahlreiche Feiertage von ihrem fixen Tag weg auf einen Montag, der nahe am Originaldatum liegt, verfrachtet wurden. Gar nicht so eine schlechte Idee, ging es doch darum mehr drei-Tag-Wochenenden zu kreieren. Washington Day wurde dabei auf den dritten Montag des Monats Februar gelegt, was ironischerweise dazu führte, dass Washington's Geburtstag NIE WIEDER am echten Tag seiner Geburt zelebriert werden wird, weil der dritte Montag im Februar unmöglicherweise auf später als den 21. Februar fallen kann.

So weit, so gut. Aber was wurde aus Lincolns Geburtstag und warum nennen manche Staaten - zum Beispiel New York - den Tag heute Presidents Day (oder President's Day oder Presidents' Day)?

Wie wir uns das natürlich schon gedacht haben, entschied man sich im Zuge der Union Holidays Bill, die Geburt von Lincoln am gleichen Tag wie die Geburt Waschingtons zu feiern.
 Zusammen mit der NATO (nein, nicht DIE Nato, sondern die "National Association of Travel Organizations") arbeitete die Regierung schon in den 1950er Jahren an dieser Idee. Jedoch, nicht alle Staaten hielten das Zusammenschliessen der beiden Geburtstage für wirklich nötig - schliesslich wurde man so eines freien Tages beraubt. In den 1970er Jahren setzte sich die Idee dann aber doch mehr und mehr durch, vor allem nachdem Nixon proklamierte, der dritte Montag im Februar solle zu Ehren ALLER Präsidenten gefeiert werden, ihm selbst eingeschlossen. (Ob er das wirklich so gesagt hat, ist allerdings umstritten).

Lange Rede, kurzer Sinn: Trotz unglaublicher Anstrengungen seitens der zentralistischen Regierung in Zusammenarbeit mit einer lustigen Organisation, die einfach mal gleich heisst, wie eine GANZ ANDERE Organisation, die ein Militärbündnis sichert, ist der Presidents Day im ganzen Land eine föderalistische Angelegenheit geblieben. Manche Staaten nennen ihn "Washington-Lincoln-Day", andere streiten, wie man 'President' in 'Presidents Day' nun schreiben soll (ist es nur einer, nämlich Washington, dann müsste es eigentlich "President's Day" geschrieben werden, sind es alle, dann nimmt man einfach den Plural). Um die Sache noch komplizierter zu machen, bekommt man heute oft nicht mal mehr frei am Presidents Day (oder wie man ihn nennen mag). Wobei das noch Sinn macht in den ganz spielverderberischen Staaten, die den Tag gar nicht als Feiertag sehen. Aber auch hier in New York ist es mehr eine Frage von Glück, ob man den Tag frei krieg oder nicht. Und wer schwarz arbeitet, erfährt vielleicht erst am Morgen des Tages selbst, ob er/sie zum Dienst antreten muss oder nicht - so geschehen mit einer meiner Mitbewohnerinnen.


ICH jedenfalls hatte heute frei und deshalb Zeit herauszufinden, WARUM ich eigentlich frei hatte und mich gestern mit Brooklyn Lager abschiessen konnte, während ich mit den WG-Mitbewohnerinnen und deren Freunden einen serbischen Film schaute ("Schwarze Katze, weisser Kater" in Deutsch), wobei wir jedesmal tranken, wenn die beiden Katzen im Film auftauchten, ich aber eine schlechte Trinkspielerin war und auch dann trank, wenn keine der Katzen zu sehen war, was mir wiederum einen herrlichen Kater am Presidents Day verschafft hat, den ich nun im Bett verbracht habe mit Recherchen zum Thema. Und damit wären wir wieder am Beginn meiner Geschichte.

Übrigens habe ich letztens einen passenden Witz gehört und der geht so: Drei Kinder unterhalten sich darüber, woher die Babys kommen. Sagt das Kind aus England: "Also bei uns geht das so: Mami und Papi gehen ins Zimmer und 9 Monate später bringt der Storch ein Baby". Sagt das Kind aus Frankreich: "Also bei uns ist es anders: Mami und Papi gehen ins Zimmer und machen Sex und 9 Monate später kommt ein Baby aus Mami's Bauch." Sagt das Schweizer Kind: "Also bei uns ist das glaubs von Kanton zu Kanton verschieden."

Und zum Thema Presidents Day noch was Lustiges zum Lesen:

http://nymag.com/daily/intel/2012/02/most-obscure-president-benjamin-harrison.html