Sonntag, 29. Juli 2012

BUSHWICK BLOCKPARTY: DIE VIELLEICHT HIPSTE PARTY DER WELT

Es ist ein Tag zum Daheimbleiben. Die dunkelgrauen Wolken hängen so tief über Bushwick, Brooklyn, dass es auch um 2 Uhr nachmittags nach Dämmerung aussieht. Der Regen ist keine Frage der Wahrscheinlichkeit, sondern nur der Zeit. Wer heute ohne Schirm aus dem Haus geht, ist entweder extrem optimistisch eingestellt oder einfach nur blöd. Ich bin mir nicht ganz sicher zu welcher Gruppe ich zähle, als ich mich ohne Regenschutz leichtbekleidet nach Morgantown aufmache. Seit Wochen konnte man kaum mehr einen Tag unter der Bettdecke schlafen, weil die Hitze New Yorks so durchdringend ist, ein bisschen kühler Regen kann nicht schaden. Als ich in die volle Ubahn steige, trauere ich kurz meinem weichen Bett und der nächsten Folge Akte-X auf Neflix nach. Wäre heute nicht die wahrscheinlich hipste Blockparty von New York angesagt, es hätten mich keine zehn Pferde aus meinem Zimmer gebracht. Aber eben, Zürcher und New Yorker sind sich in einem (ehrlich gesagt in vielem) sehr ähnlich: Wenn eine legendäre Underground- (oder auch nicht) Blockparty lockt, muss man einfach hingehen. Komme was wolle.

Morgantown nennt sich der kleine Teil Bushwicks, der an der Morgan Avenue in einem ehemaligen Industriegebiet liegt. Bis vor einigen Jahren gab es hier nichts ausser riesiger leerstehender Fabrikgebäude auf einem Areal, das seine besten Zeiten wohl während der Industrialisierung hatte. Wie in vielen Teilen Brooklyns wanderte die reiche Bevölkerung mitte des 20. Jahrhunderts ab und überliess die Gegend ärmeren Schichten und Immigranten. Das Industriegebiet um Morgantown blieb dabei langezeit völlig ungenutzt. Dann, vor vielleicht 10 Jahren, als Manhattan immer teurer wurde, "rückeroberten" Künstler und Studenten die Teile Brooklyns, die nahe am Eastriver und somit der Mutterinsel lagen. Innert weniger Jahre wurde so aus dem heruntergekommenen Williamsburg das neue In-Quartier New Yorks - laut einem befreundeten Real Estate Agent momentan der begehrteste Wohnort der Welt. Doch wie es die Gentrifizierung will, wurde das Viertel mit dem wunderbarem Blick auf die Skyline von Manhattan so für die Künstler und Studenten, die es zu dem machten, was es ist, bald zu teuer und sie zogen weiter landeinwärts. Vor vier, fünf Jahren dann, enterten die ersten Freigeister die Gegend um die Morgan Avenue um in den alten Warehouses Lofts einzurichten. Morgantown und der untere Teil Bushwick's wurde zum neuen Refugium für die hippen jungen Leute mit gar nicht so schlecht bezahlten Jobs und ist heute kein echter Geheimtipp mehr, sondern so etwas wie Williamsburg's kleine Schwester. Die übergrossen Industriebauten sind in kleine Wohnungen mit grossen Fenstern aufgeteilt worden, Bioläden und Boutiquen eröffnen neben Lagerhallen, das Durchschnittsalter der Bewohner liegt bei geschätzten 25 Jahren. Hier wohnen Models, Musiker, Jurastudenten und Rocker Tür an Tür und es vergeht kein Tag ohne eine Hausparty, einen Zeichenworkshop oder ein illegales Punkkonzert. Und hier findet eben auch die jährliche Bushwick Blockparty statt, an die ich gehe. Inmitten der Fabrikhallen, im Freien und mit offiziellem Security-Personal.

Gerade als ich um etwa vier Uhr nachmittags ankomme - die Party ist in vollem Gange - fängt es an zu regnen. Rockig angezogene Frauen mit Tätowierungen, Männer mit Schnauz und Tätowierungen, Ray-Ban Brillen in Neonfarben und ultrakurz abgeschnittenen Jeans-Hotpants überall. Viele davon unter schwarzen Regenschirmen. Die New Yorker sind eben doch schlauer als ich, die nach fünf Minuten klatschnass ist. Um ins Gelände zu kommen, das nicht ganz so gross ist, wie erwartet, muss man anstehen. Und zwar lange. Die Schlange geht um die Hausecke und führt an einem mobilen Vintage-Laden in einem Wohnmobilanhänger vorbei. Sie wird sekündlich länger. Am Eingang wird das Alter gecheckt: wer unter 21 Jahren ist kommt nicht rein, glaube ich, oder bekommt sie oder er einfach keinen violetten Bändel? Ich bin mir nicht ganz sicher, denn auf meiner ID, die wegen des Schweizerkreuzes fälschlicherweise oft als Krankenschwesternausweis missverstanden wird, steht ja ein akzeptiertes Geburtsjahr. Irgendwo hier sollten auch meine Kollegen sein, aber das Areal ist ganz und gar unüberschaubar. Überall bilden sich Schlangen und jedesmal wenn ich mich irgendwo anstellen will, bin ich mir nicht sicher ob es nicht vielleicht doch nur der Weg zum Klo ist. Mein Freund Frank textet mir, sie seien bei der Musik nahe dem Wrestlingring. Ich reihe mich mal vorsichtig in eine Schlange ein, die dorthin führt, wo der Lärm herkommt. Ich stehe also an, nachdem ich angestanden bin. Und diesmal noch länger. Offenbar werden bloss neue Leute in diesen Teil der Blockparty reingelassen, wenn andere rausgehen. Und das passiert nicht. Ich frage die coolen Frauen und hübschen Männer (mit Schnauz!) nach dem Wrestlingring, aber keiner hat davon gehört. Wie lange die wohl alle schon anstehen? Seit Minuten hat sich der Menschentross keinen Millimeter bewegt, aber das scheint niemanden zu stören. Es wird fleissig gequatscht und gekifft. Auch Biertrinken ist hier erlaubt (deshalb ja die Securitykontrollen und Bändel). Normalerweise ist in Amerika auf offener Strasse bekanntermassen kein Alkohol erlaubt, aber auf diesem designierten Areal wird einem überall billiges Bier verkauft. Die meisten Leute scheinen mir schon recht besoffen. Man muss die Gunst der Stunde wohl nutzen.

Irgendwann bin ich endlich drin (nachdem ich schon drin war, ich bin nun also noch drinner), aber kann meine Freunde beim besten Willen nicht finden. Im strömenden Regen tanzen hier gut gekleidete Jungs und Mädels zu ohrenbetäubendem Techno und House aus einem Millitärzelt, welches noch überfüllter ist als der Rest des Areals (hat halt nicht jeder einen schwarzen Regenschirm). Wo ist hier ein Wrestlingring?? Der Medizinstudent und sein Fotografenfreund neben mir zucken bloss lachend mit den Schultern und nehmen mir das Versprechen ab, ihnen Bescheid zu geben, wenn ich ihn gefunden habe. Dann fangen sie mit wildfremden ganzkörpertätowierten Skatern an mit vereinten Kräften einen Joint zu bauen. Eines muss man den New YorkerInnen (und den Amerikanern an sich) schon lassen: Alle sind unheimlich freundlich und Small Talk-bewandert. Die machen sicher jeden Tag zehn neue Freunde. Mindestens. Vom Stil und dem Stolz auf ihre Stadt sind die Zürcher  den New Yorkern ja wirklich ähnlich, aber wenn es um Freundlichkeit und Offenheit geht, dann sind die Limmatstädter wohl eher Nordkoreaner.

Ich kämpfe mich an schöngestalteten Essensständen mit äthiopischen Fladenbroten und glacierten Donuts vorbei zu einer weiteren Bühne, die ich tatsächlich erst eine Stunde später entdecke, obwohl sie bloss 50 Meter vom Militärzelt entfernt steht. Zuvor wurde mir von allen Seiten versichert, es gebe nur diesen einen Ort mit Musik. Offenbar hatten sich alle meine Gesprächspartner nie nur einen Meter von ihrem Spot wegbewegt, nachdem sie ihn eingenommen hatten. Verständlicherweise. Denn die Schlange um zu dem DJ-Zelt zu kommen ist mittlerweile dreimal so lang als vorher. Jemand flucht, dass es wohl auch eine Schlange zum Ausgang gebe. Auf der anderen Bühne, die ich per Zufall entdeckte, spielt gerade eine dieser kuriosen Bands, die eine Mischung aus Raeggeton und Hardcore Rap macht. Die Jungs sehen alle aus wie Axel Rose. Bekiffte Schnauzträger und witzigtätowierte Frauen stehen im Regen und schauen ausdruckslos.  Wo sind bloss meine Freunde?? Und wo verdammt ist dieser Wrestlingring?

Irgendwann gebe ich auf, kaufe mir ein äthiopisches Gemüsegericht und schlendere von den begehrten Tanzbereichen davon, wohlwissend, dass ich es nicht noch einmal reinschaffen werde. Die Schlange fürt nun durchs ganze Gelände. Ich bin müde von der Party gestern und habe keine Lust auf Dosenbier und Gedränge. Per Zufall finde ich doch noch einen Ausgang und setze mich wieder in die Ubahn heimwärts.

Fazit: Mit den Brooklynern ist das so: Sehen und gesehen werden ist ihnen mindestens genauso wichtig wie den Zürchern auf dem Riminimarkt. Um dabeigewesen zu sein, stellt man sich auch mal stundenlang in eine Schlange, bloss um dann in noch eine Schlange zu stehen und dann vor einem Millitärzelt mit schlechter Musik und warmem Bier zu enden. Vom Stil her sind die New YorkerInnen wenigstens ein bisschen ausgeflippter und variantenreicher als die ZürcherInnen, aber eigentlich sind alle eben doch ganz schön konform. Schnäuze, dicke Brillengestelle, ausgebleichte Rockband-T-shirts und witzige Tattoos, etwa von den Umrissen des Heimatstaates, überwiegen. Hipster möchte auch hier niemand genannt werden und die Gentrifizierung diskutieren wenigstens einige ernsthaft. Alte Fabrikgebäude umzubauen ist sicher nichts Schlechtes, aber die ärmeren Schichten und Immigranten aus ihren angestammten Gebieten vertreiben, weil man mit dem Geld von Mami und Papi und dem Bartender-Nebenjob höhere Mieten bezahlen kann, ist wenigstens fragwürdig. Allein, was soll man tun? Am Ende will ja doch jeder eine dieser Loftwohnungen besitzen und immerhin wird der Bioladen um die Ecke von Puerto Ricanern geführt (die sind nämlich schlau und haben die Zeichen der Zeit erkannt). Schlussendlich bleibt eine Frage: Wo war dieser verdammte Wrestlingring?


Vor dem Militärzelt im strömenden Regen tanzen die Betrunkenen

Dann kommt sogar noch die Sonne (für fünf Minuten)

Eine der Fabrikhallen, die heute loftähnliche Wohnungen beherbergt

Einer hat das Papierchen beigesteuert, der andere das Gras und der dritte dreht das Ganze. Alle haben sich vor 5 Minuten kennengelernt.

Übrigens wurde mir letztens erklärt, dass Morgantown eigentlich gar nicht in Bushwick liegt, sondern noch in Williamsburg. Aber weil Williamsburg mittlerweile unter den wirklich Hippen nicht mehr als cool gilt und jeder lieber damit angibt, in Bushwick zu wohnen (und zwar schon lange und vor allen anderen), hat man Morgantown kurzerhand zu Bushwick und damit der neuen In-Gegend geschlagen. Bald wird der Name auch in Reiseführern auftauchen und die Künstler und Kreativen werden weiterziehen, zum Beispiel nach Far Rockaway. Der abgefuckte Landstrich in Queens, der ans Meer stösst, ist nämlich wirklich viel zu schön, um unentdeckt zu bleiben. Die Frage ist, wo dann die heutigen Bewohner von Far Rockaway hinziehen, denn theoretisch würden sie von den Hipstern ins Meer geschoben.

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