Sonntag, 24. Juni 2012

HEUTE WÄRE EIN WANDERTAG GEWESEN

Draussen hupen etwa fünf Autos gleichzeitig. Keine Ahnung warum, aber es hat definitiv nichts mit dem Halbfinaleinzug der Spanier zu tun. Denn ich sitze in meinem Appartement in Bushwick, Brooklyn und die Leute hier - obwohl viele aus Mittel- und Südamerika - interessieren sich nicht sehr für Fussball. Viel mehr interessieren sie sich fürs Grillen auf der Strasse, für dröhnende Autoradios und Plastikkinderpools in der glühenden Hitze des Nachmittags und ja, sie hupen gern. Wenn sie irgendwo wegen eines anderen quer in der Strasse stehenden Autos nicht vorbei kommen, wenn ein Freund in Sicht ist, wenn Puerto Rican Day Parade ist oder einfach als Ausdruck der Freude oder der Wut in allen möglichen Lebenslagen. Man verbringt viel Zeit im Auto hier oben. 

Ich empfinde das Dröhnen gerade als sehr tröstend. Es klingt wie das Aufheulen des Protestes in mir drin. Denn ich habe Heimweh. Nicht nach Zürich oder St.Gallen. Auch nicht unbedingt nach meinen Freunden oder der Familie. Im Moment vermisse ich gerade das Wandern. 

Heute wäre ein Wandertag gewesen. In der Schweiz. Man hätte den Zug nehmen können oder die S-Bahn, gar nicht zu weit weg. In ein paar Minuten schon wäre die Landschaft grüner geworden und wenn die morgendlichen Sonnenstrahlen schräg durch die Mehrzweckhallen, Fabrikgebäude und Schindeldachhäuser gefallen wären, hätte sogar Dietikon schön ausgesehen. 

Die Morgensonne macht aus jedem noch so hässlichen Stück Welt ein freundliches Fleckchen. Und Wanderungen beginnen oft an hässlichen Orten. Bei Seilbahnen zum Beispiel. Die gefallen mir nie besonders gut. Mit ihren kahlen Betonwänden im Warteraum und den vielen Zahnrädern. Beängstigend.

Dann die Aldis, Spars und Agrolas mit ihren frustrierten Kassiererinnen, die in kleinen Dörfern rumstehen. Die runddachigen Tenniscenter in ausgewaschenen Farben entlang der Bahnlinie. Oder eine Joghurtfabrik. In der Morgensonne hätte dies alles heimelig und vielversprechend gewirkt.

Man wäre irgendwo hingewandert, wo einem nur noch ab und zu Menschen begegneten wären oder der Hund eines Bauern bellte. Bald wäre eine Anhöhe gekommen, die die Sicht auf das ewig schlafende Mitteland freigibt und vielleicht ein Atomkraftwerk, das in der Ferne trotzig dahindampft. Ab und zu hätte man ein "Zi" fallengelassen oder ein etwas anstrengenderes "Zitnand", wenn Leute den Weg kreuzten. Ein Waldstückchen hätte ein bisschen Abkühlung gebracht und bald schon wäre weiter unten wieder ein Dorflädeli aufgetaucht oder eine Beiz. 

Ein Kafi Lutz, ein kühles Bier, zwei Wienerli mit Senf und Bürli, ein Wasserglacé. Kein Menü der Welt schmeckt besser in diesem Moment und im Spar weiterunten gleich noch zwei Bratwürste gekauft. Im Bus zurück in die Stadt, die gerne mondän wäre, hätte man ein paar Sms an die restlichen Freunde geschrieben. Grillen bei mir auf dem Parkplatz um 19 Uhr. Bei der Ankunft am Bahnhof riecht die ganze Stadt schon nach Holzkohle. Summer in the city.

Die Leute hier in Bushwick grillen auch. Jeden Tag. Und der Duft von Pouletschenkeln und Schweinshaxen liegt schwer in meinem Appartement. Von überallher dringt Musik an meine Ohren. Manchmal nur der Bass von weitem, oder die metallisch scheppernde Stimme einer R&B-Diva, die zu laut aufgedreht wurde. Manchmal ganz laut aus einem vorbeifahrenden Auto, dessen Türen wackeln. Und das Gehupe natürlich. Es ist nie still hier. Nie. Vielleicht ganz selten mal am Morgen in der Früh. Aber sicher nicht nachts. Ich habe mich daran gewöhnt und schlafe ganz gut. Mit ewig offenen Fenstern, weil es in der Wohnung so heiss ist. Ich mag Brooklyn. 

Und ich vermisse die stillen Wanderwege, den weitschweifenden Blick über grüne Hügel und zackige Berge, die oben immer weiss bleiben. Ja, sogar die Schweizer vermisse ich ein bisschen, die nicht ein Mal im Jahr so laut sind, wie die Puerto Ricaner hier jeden Tag. Aber nicht allzu sehr.

Blockparty vor meinem Haus

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