Mittwoch, 29. August 2012

DIE SCHWEIZ UND IHR TOURI-TATORT - KOLUMNE INKLUSIVE TIPPS FÜR MEHR TIEFGANG

Am Sonntag endlich war die Sommerpause vorbei und die neue Tatort-Saison begann. Und zwar in Luzern. Mit Reto, unserem Schweizer Kommissar. Vor einem Jahr hatte es Reto mit einer Amerikanerin aus CSI versucht, mit der löste er einen Fall (ich habe schon vergessen, um was es ging) und dann bumste er sie (daran erinnere ich mich genau, Tauben waren auch da). Aber das gefiel weder den Chefs vom Schweizer Fernsehen, noch den Zuschauern im Dreiländereck so recht. Denn es war so unschweizerisch. Also bekam Reto im Mai 2012 eine neue Partnerin, die heisst Liz und ausser ihrem Namen ist alles recht schweizerisch an ihr. Sie ist korrekt gekleidet, vorverurteilt die Verdächtigen, wie die Langstrassestreife den schwarzen Mann und fühlt sich vom Reto so ein bisschen machomässig behandelt. Aber der hatte äbä auch recht gehabt und drum wars auch ganz okay seine Kollegin zu behandeln als wär sie ein bisschen doof, denn logischerweise war nicht der jähzornige, übervorteilte, alte Bauer der Mörder, sondern der scheue, spielsüchtige, junge Bänker, von dem wir das NIE gedacht hätten. Huere schlau, könnte man meinen, denn so funktioniert das doch mit diesen Krimis: Bis am Schluss soll man nicht schnallen wer es war, um dann bei der Lösung des Falles umso erstaunter zu sein. Migros Clubschule Krimikurs, Lektion 1. Und dann noch die herrliche Aussicht! Diese Landschaft, das Superwetter! Ja, der dritte Schweizer Tatort war richtig schön. Nicht der kleine Mann war der böse, sondern der Kapitalist und seine kriminellen Freunde aus der Politik. Und dann noch alles in dieser wunderbaren Bergwelt. Was will man mehr?!

Nun, allererstens will ich keinen Werbespot für die Luzerner Landschaft in HD, sondern eine Mordgeschichte in den dunklen Ecken der Schweiz und ausserdem und überhaupt: Wo blieben die Zwischentöne? Die Abgründe (also nicht am Berg)? Der Nervenkitzel? Mal ganz ehrlich: Macht es wirklich Sinn die Mordgeschichten ins Luzernische zu pflanzen? Oder geht es tatsächlich nur darum deutsche Touristen anzulocken? Denn glaubhaft wäre der Tatort in der Schweiz in Zürich oder Genf unter Prostituierten, Drogendealern, illegalen Einwanderern, internationalen Beziehungen und dem Partyvolk dazwischen, und nicht im Hochglanzprospekt, den wir am Sonntag vorgezeigt bekamen. Wobei wenigstens eine Tatort-technische Grundregel für die 57'000-Seelen-Stadt spricht: Potentiell kennen sich Täter und Ermittler. Das kommt beim Tatort immer gut und sorgt für Zündstoff. Und weil ich nach jahrelangem Tatortschauen die Systematiken des story telling herausarbeiten konnte, hier noch einige weitere Tipps, wie der Schweizer Tatort an Tiefe gewinnen könnte, frei nach den deutschen und österreichischen Vorbildern: 

Der Mörder: Der Mörder ist nie der Ausländer oder die Drogenabhängige und auch nicht der Sprayer, wobei die Letztgenannten mit Sicherheit etwas gesehen haben, weil sie a) sich während der Tat in der Nähe eine Nadel setzten oder b) während der Tat in der Nähe ein piece sprayten. Als Mörder in Frage kommt dafür immer das Kind oder die Teenagerin, welche mit Traumata und/oder Vernachlässigung, Verlust und Frust zu kämpfen haben. 

Das Ermittlerteam: Wohnt Tür an Tür oder sogar in derselben Wohnung und sonst mindestens einer von beiden im Hotel und hat entweder das gemeinsame Kind verloren oder einer von beiden den Ehepartner. Ausserdem sind Alkohol, Übergewicht und kiffende Eltern/drogenabhängige Töchter verbreitet.

Der Schurke: Es gibt mindestens einen unangenehmen Menschen im Verdächtigenkreis, der meist nicht der Mörder ist, aber das Böse auf der Welt verkörpert. Er oder sie ist wahrscheinlich in der Baubranche, manchmal auch bloss Bänker und immer in der Politik tätig. Fitnessgurus und Tennislehrer sind auch nie nett.

Der Tatort: Ist aufgrund der Wahrscheinlichkeit, dass ein Geldhai aus der Baubranche in die Tat verwickelt ist sehr oft eine Baustelle.

Der Showdown: Findet aufgrund der Wahrscheinlichkeit, dass ein Geldhai aus der Baubranche in die Tat verwickelt ist, sehr oft auf einer Baustelle statt.

Die Moral der Geschichte: Im Immobilienmarkt geht es nicht mit rechten Dingen zu, drei Viertel aller deutschen Teenager sind traumatisiert und die Ermittler sind mindestens genau so psychisch am Ende, wie die Täter, die - sofern es nicht das Kind war - die Kommissare persönlich kennen. Und wenn der Schweizer Tatort dem Reto noch ein Alkoholproblem andichtet oder die Liz bei ihm einziehen lässt (weil sie psychisch am Boden ist oder einfach ihre Wohnung verloren hat), dann kommt das ganz gut. Die Bösewichte in Form von Bänker und Bauherr hatten wir ja schon.

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