Montag, 9. April 2012

OSTERMONTAG GIBT ES NICHT - EINIGE GEDANKEN ZUR ARBEITSMORAL DER AMERIKANER

Ich bin wirklich weit davon entfernt der Kirche ein Kränzlein zu binden. Tasächlich bin ich der Meinung, dass sich jeder relativ lächerlich macht, der sein Leben nach einem alten Buch voller pädagogisch wertvoller Geschichten a la Struwwelpeter ausrichtet und an jedem Sonntag freiwillig früh aufsteht, um irgendwem zuzuhören, der andächtig aus dem wirren Wälzer vorliest. (Beginnen wir erst gar nicht mit dem Papst und seinem Pädophilenring.) Aber (!) ich liebe freie Tage und dafür liebe ich die Kirche und die Ernsthaftigkeit mit der die Menschen in der Schweiz Feiertage begehen. Denn niemand in Helvetien käme auf die dumme Idee an einem Karfreitag oder Ostermontag zu arbeiten. Niemand ausser vielleicht ein paar Werber oder Banker, aber die sind ja selbst Schuld. (Wir sprechen hier natürlich nicht von Leuten, die aufgrund ihres Berufes arbeiten müssen (ÄrztInnen, Krankenpfleger, PilotInnen...).

Nun musste ich leider feststellen, dass die Amerikaner da weit weniger strikt sind. (Das liess sich ja schon beim Washington-Day-Debakel im Februar erahnen, wo ich entdeckte, dass es gar nicht jeder Staat für nötig hält am Tage der Geburt des ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika die Arbeit nieder zu legen. Unerklärlicherweise).

Nun, die Tatsache, dass die Amerikaner den Ostermontag nicht feiern, mag religiöse Gründe haben. So ist der Ostermontag eine römisch-katholische "Erfindung"; ein Tag, der es ermöglichen soll an wenigstens einem Wochentag der Oktav (die acht Feiertage nach einem Hochfest) einen Feiergottesdienst besuchen zu können. Die USA sind mehrheitlich protestantisch und die Protestanten haben etwas gegen zu viel Feiern, also gibt es den Ostermontag (und die Okatv) in den Staaten nicht. So einfach ist das. Dafür ist für die Protestanten der Karfreitag (die Kreuzigung Jesu, anstatt dessen Auferstehung am Sonntag) besonders wichtig, jedoch auch an diesem Tag arbeiten viele Amerikaner munter weiter. Warum bloss? Warum arbeiten die so viel? Warum ist ihnen nichts mehr heilig??

Das erste Mal bemerkte ich die Unterschiede in der Arbeitsmoral der US-Amerikaner und Schweizer, als ich mit einem meiner Deutschschüler sprach. Er kam aus Kansas und arbeitete im IT-Bereich einer Schweizer Versicherung und er war beinahe geschockt, als er realisierte, dass die Schweizer um spätestens 19 Uhr - wenn nicht schon viel früher - den Bettel hinschmeissen und nach Hause gehen, auch wenn die Arbeit noch längst nicht getan ist. Noch viel unglaublicher fand er, dass seine Mitarbeiter so mir nichts dir nichts zwei Wochen nach Gran Canaria verreisten, ohne sich um den Fortgang des Projektes zu scheren. Ich wusste damals gar nicht, was ich ihm Tröstendes hätte sagen können, denn ich war immer der Überzeugung gewesen, die Schweizer arbeiteten zu viel, nicht zu wenig. Heute verstehe ich seine Irritation. Auch wenn die Schweizer im Gegensatz zu den Italienern, Franzosen, Spaniern und Skandinaviern, vielleicht allen europäischen Staaten zusammen, eine rigidere Arbeitsmoral besitzen, sind sie doch immer noch recht pragmatisch, was Arbeitszeiten im Grossen und Ganzen anbetrifft: Irgendwann geht jeder mal nach Hause und alle haben ihre Ferien verdient. Die Amerikaner sehen das ein bisschen anders.

Es ist dabei nicht so sehr die Tatsache, dass hier viele Leute mehr als 8 Stunden pro Tag und auch am Wochenende arbeiten, die mich nachdenklich stimmt, sondern diese Ernsthaftigkeit und Verbissenheit mit der diese Arbeitsethik vertreten wird. Als ob im Land der angeblich Vergnügungssüchtigen nur der tatsächlich etwas zählt, der sich zu Tode krüppelt. Liegt das an dem ur-amerikanischen Traum vom Tellerwäscher, der zum Millionär wird? Dem hier weitverbreiteten kapitalistischen Irrglauben "Wer nur hart arbeitet, der bringt es auch zu etwas"? Warum ist es den Leuten eigentlich noch nicht aufgegangen, dass sie so hart arbeiten können, wie sie wollen, dies aber noch lange kein Garant für Reichtum ist? Der Kapitalismus ist nicht die Staatsform, die jedem, der nur will, einen guten Job und genügend Geld verschafft. Kapitalismus ist die Staatsform, die von billiger Arbeitskraft profitiert und einige wenige in den oberen Etagen begünstigt.

Nicht, dass ich falsch verstanden werde. Viele Jobs hier sind eben gerade so schlecht bezahlt, dass die Leute gar keine andere Wahl haben, als wie die Irren zu arbeiten. Das ist natürlich nicht (oder wenigstens nur zum Teil) deren Schuld. Und bei der hohen Arbeitslosigkeitsrate im Moment ist jeder der einen Job hat, natürlich dankbar dafür. Doch wie es der britische Schriftsteller Tom Hodgkinson so schön sagt: Billigjobs sind nicht die Lösung gegen die (Jugend-)Arbeitslosigkeit. Im Gegenteil: Billigjobs zwingen junge Menschen in anforderungslose Fliessbandarbeit, anstatt ihnen die Möglichkeit zur Weiterbildung zu geben. Und die Tendenz der Amerikaner alles für faul zu halten, was nicht bereit ist, 12 Stunden zu arbeiten, zwingt die Leute zur Arbeitswut.

Aber warum sollten wir überhaupt so viel arbeiten? Ganz grundsätzlich. Warum Arbeit? Damit wir Geld haben? Wozu Geld? Damit wir konsumieren können? Wozu Konsum? Weil er uns glücklich macht? Wieso bilden wir uns ein, dass Konsum der Weg zum Glück ist? Und wie konnte es in einem Land, das von Puritanern gegründet wurde, denen es streng verboten war am Sabbat zu arbeiten, so weit kommen, dass nicht mal mehr die höchsten christlichen Feiertage heilig sind? Und das obwohl sich laut Umfragen 82% der Amerikaner als religiös bezeichnen? Ist es nicht einer der wenigen Vorteile einer Religion, dass sie einem willkürlich Arbeitsverbote auferlegt?

Jedem, der sich diese Dinge auch fragt, empfehle ich das Buch "How to be free" von Tom Hodgkinson. Und äh, frohe Ostern!


Ein Interview mit Tom Hodgkinson findet man aktuell auf der Tagesanzeiger Homepage:
http://www.tagesanzeiger.ch/leben/gesellschaft/Hatte-Jesus-einen-Job-Na-also/story/21352332

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